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Das Ende des Klopapiers – ein Segen für die Menschheit?

05.02.2018

Jack Sim aus Singapur war seiner Zeit voraus. „Wir müssen die Toilette als Statussymbol sehen und als Objekt der Begierde etablieren, so wie einst bei Handys“, erklärte der Vertreter der Bauwirtschaft. Bereits 2001 gründete er die „World Toilet Organization“.

Den Gründungstag am 19. November ernannte er zum „World Toilet Day“. Sim animiert Schauspieler und Sportstars, die Toilette als „Ort des Glücks“ zu preisen, und verheißt der Sanitärindustrie sagenhafte Renditen, wenn sie sich mehr um den Lokus kümmerte.

Er könnte recht behalten. In Japan sind technisch aufwendige Toiletten schon länger bekannt. Jetzt entdecken die Hersteller auch hierzulande das stille Örtchen und wollen es mit neuer Technik aufwerten. Zu modernen Bedürfnissen des Menschen gehöre „hygienische Sauberkeit, Bedienkomfort und nachhaltige Gestaltung“, heißt es etwa bei Duravit.

Anbieter sollen mehr Luxus bieten

Keramik-Spezialist Villeroy & Boch verkündet, man solle „die gelernte Toilettenkultur auf den Kopf stellen und für mehr Wohlbefinden sorgen“. Andere Anbieter fokussieren sich auf das Reinigen, das den Deutschen besonders wichtig sei. Dazu gesellt sich die Sanitärforschung mit angeblich neuen und die Mikrobiologie mit überraschenden Erkenntnissen. Das treibt die Preise. Anspruchsvolle Modelle kosten um die 5000 Euro.

Dafür wird einiges geboten. Bei manchen Modellen hebt und senkt sich der Toilettendeckel automatisch. Die Brille lässt sich auf Wunschtemperatur vorheizen, die Sitzheizung in drei Stufen regeln. Vom Eco-Modus, der den Sitz kontinuierlich auf 28 Grad hält, kann die Temperatur bis auf 34 Grad erhöht werden. Das ist fast schon Feuer unterm Hintern.

Deshalb ist das Dusch-WC besonders für Allergiker geeignet, denn Wasser ist antiallergen. Die mit Reinigungslotion getränkten Feuchttücher, die von zwölf Millionen Menschen benutzt werden und bei immungeschwächten Älteren und Kindern oft zu Hautreizungen führen und die Abwasserkanäle verstopfen, entfallen komplett. Ebenso schont das Dusch-WC empfindliche Toilettenbesucher, etwa wegen Hämorrhoiden.

Das mild warme Wasser mit seinem sanften Druck aus dem leicht schwingenden Duschkopf ruft ein angenehmes Gefühl von Frische und Sauberkeit auf und soll angeblich auch die Durchblutung anregen, sodass Beschwerden wie Verstopfung gelindert werden.

Die Brille kann zum Reinigen problemlos abgenommen werden. Zu den Spielereien gehören Raumdeodorierer, Bidet- und Massagefunktionen, eingebaute MP3-Player, um Verdauungsgeräusche mit selbst gewählter Musik zu übertönen, und ein geheimnisvoll leuchtendes Nachtlicht im Dunkeln.

„Mein Hinterteil braucht kein Licht und muss nicht erwärmt werden“, lästert der Südtiroler Designer Matteo Thun. „Die meisten Attribute solcher Toiletten sind bloß Gimmicks, nutzloser Schnickschnack. Ich sage das, weil ich das Dusch-WC für ein zentrales Thema halte.

Es säubert gründlich, ist hygienisch und benötigt kein Papier.“ Thun hat ein eigenes Modell entworfen und verkauft es über seine Mailänder Firma: „Es ermöglicht das intuitive Bedienen. Das Design ist so einfach wie möglich, die Technik bleibt verborgen.“

Es geht um die Reinigung am Ende des Toilettengangs. Sie erfolgt mit warmem Wasser aus der Stabdüse, Position und Temperatur des Strahls sind individuell einstellbar. Die nasse Intimreinigung reduziert das Toilettenpapier um 80 Prozent. So werde viel von den 2,5 Milliarden Kilometer langen Papierrollen, die pro Jahr in Deutschland ins Klo gespült werden, gespart.

Papiernutzung kann Entzündungen auslösen

Bei WCs mit Trocknungsfunktion aus der Bidet-Düse ist das Abtupfen mit Papier gar nicht mehr nötig. Das verhindert Hautreizungen und Entzündungen, die von der üblichen Papiernutzung ausgelöst werden können.

Glaubt man der mexikanischen Schriftstellerin Sabina Berman und ihrem Roman „Die Frau, die ins Innerste der Welt tauchte“, schafft es der Wasserstrahl hin und wieder sogar, Frauen einen Orgasmus zu bescheren.

Hygienisch, umweltfreundlich und viel billiger ist die mobile Dusche, die ihr Produzent Oliver Elsoud in Berlin seit 2017 mit seinem Start-up vertreibt. Er nennt sie „HappyPo-Dusche“ und verkauft sie mit Wandhalterung für 24,90 Euro über Drogerien und Baumärkte.

Die Flasche wird mit handwarmem Wasser gefüllt, zum Gesäß geführt, dann erfolgt das Abdrücken. Ein bis zwei Blatt Toilettenpapier genügen zum Abtupfen von Tropfen. Noch habe sich die neue Klo-Mentalität nicht genügend durchgesetzt, räumt Elsoud ein, geht aber jede Wette ein, dass Millionen Menschen mittelfristig zu Warmduschern werden.

Damit würden sie sich den Gepflogenheiten in asiatischen Ländern anschließen. Milliarden von Menschen sind es dort gewohnt, sich mit einer Brause, die neben der Toilette an der Wand hängt, abzuspülen – häufig einfach deshalb, weil Papier teuer ist und Abflüsse sowie die oft veraltete Kanalisation mit der Cellulose-Masse nicht zurechtkommen.

Offene Kloschüsseln sind gefährlich

Dem Mikrobiologen Markus Egert, der an der Hochschule Furtwangen bei Villingen-Schwenningen die Verbreitung des sogenannten Haushaltsmikrobioms in Wohnungen erforscht, gefällt an der neuen Toilette der automatisch schließende Deckel. Der hierzulande gern mit harter Chemie gereinigte Ort braucht weniger Einsatz an Reinigungsmitteln, wenn vor dem Spülen der Deckel zuklappt, sagt Eger.

Offene Kloschüsseln dagegen sind gefährlich. „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, wie sich Keime beim Spülen wie eine Gischt aus der Kloschüssel im Raum verbreiten. Dann finden sich Darmbakterien überall dort, wo ich sie auf keinen Fall haben will: am Kamm oder sogar auf der Zahnbürste“, erklärt er. Giftige Kolibakterien, die Fäulnis nach sich ziehen, seien schon auf Tastaturen der Computer, auf Displays von Smartphones und auf Brillengläsern gefunden worden.

Über die Toilette zu sprechen, sei früher nicht gesellschaftsfähig gewesen, sagt der Sanitärtechniker Mete Demiriz von der Hochschule Gelsenkirchen. Er führte schon in den frühen Neunzigern Toilettentests durch, hat die ideale Sitzhöhe ermittelt – 40 bis 44 Zentimeter je nach Alter und Körpergröße – und kennt sich in der Kanalisation aus, durch die Fäkalien über Rohre abgehen.

Es komme vor allem auf die Spülkraft an, sagt er, die Hersteller wüssten das. Deshalb sei das Design, anfangs die große Verlockung, nicht mehr das wichtigste Verkaufsargument. Funktional müsse die neue Toilette sein, um die „Cleanability“ zu erreichen. Mehrfach spülen müssen und häufig die Bürste zu nutzen, das sei gestrig.

Laut Demiriz flutschten in den 80er-Jahren noch neun Liter pro Spülung durch das Kanalrohr. Gegen Ende des Jahrzehnts wurde das auf sechs Liter abgesenkt und seit dem Jahr 2000 wird „die fäkalienhaltige Hauptspülung“ von viereinhalb bis drei Litern beseitigt. Wassersparende WCs befriedigen das Öko-Gewissen. Aber wo aus städtischen Gullys stark unangenehme Gerüche aufwabern, weiß man, „dass die Wassersparerei im Endeffekt nicht zu gewünschten Effekten führt“, sagt der Experte.

Es muss viel Wasser fließen

Wird weniger mit Wasser gespült, gibt es auch in der Kanalisation zu wenig Bewegung „und es kommt dort erst recht zu Verstopfungen. Alles, was im Haushalt gespart wird, müssen die Kommunen mit Trinkwasser nachträglich durchspülen.“

Das wiederum führe zu „unhygienischen Verhältnissen“. Zu wenig Wasserfluss könnte gar Verunreinigungen im Trinkwasser zur Folge haben. Der Fachmann weiß, dass es Städte Millionen koste, im Abwassersystem ständig nachzubessern. Für Mete Demiriz ist deshalb das Dusch-WC eine große Chance. Extrem saugende Strudel in der Schüssel, wie bei Toiletten in den USA, seien nicht notwendig.

Dem Mikrobiologen Markus Egert bereitet der Trend zum aggressiven Wassersparen ebenfalls Sorgen. „Den wenigsten Menschen ist bewusst, wie sehr das auf Kosten der Hygiene geht“, sagt er. Aus seiner Sicht ist die beste Toilette ein Loch im Boden. Dort könnten sich Mikroben „nirgendwo festhalten“. Das aber dürfte den meisten Menschen dann doch zu archaisch sein.

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